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Reichspogromnacht

Gedenken an die Opfer der Reichspogromnacht

 

 

Seit vielen Jahren treffen sich am 09. November eines jeden Jahres Vertreter der Kirche, von Parteien, der Stadtvertretung und Bürger unserer Hansestadt auf dem jüdischen Friedhof in der Bergstraße, um der Opfer der Reichspogromnacht von 1939 zu gedenken.

Doch in diesem Jahr war alles anders.

Die Veranstaltung war schon geplant und vorbereitet, doch dann kam die „Corona-Verordnung“, die bis vorerst zum 30.11.2020 viele Veranstaltungen erschwert bzw. verhindert. Es wurde daher kurzfristig entschieden, das Gedenken in Form einer stillen Kranzniederlegung durchzuführen.

So trafen sich am Morgen des 9. November 2020 Bürgermeister Dr. Michael Koch, Pastor Norbert Raasch und Bürgermeister a. D. Ernst Wellmer und legten als Vertreter der Hansestadt Demmin, der evangelischen Kirchengemeinde und des Ortsverbandes Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge die Gebinde am Grabstein von Esther und David Cohn nieder und gedachten in einem stillen Gebet der Opfer jener Nacht, die auch als Reichskristallnacht bekannt ist.

Die für diesen Tag vorbereitete Ansprache mahnt aus aktuellem Anlass zur Wachsamkeit gegenüber rassistischen und anti-semitischen Strömungen.

 

 

Denkschrift von Bürgermeister Dr. Michael Koch anlässlich der Reichspogromnacht am 09. November 1938

 

 

Am 09. November  gedenken wir den jüdischen Opfern des Nazi-Terrors und sehen uns dabei leider immer noch mit der Gegenwärtigkeit des Antisemitismus und Rassismus konfrontiert.

 

Am 09. Oktober des vergangenen Jahres versuchte der Rechtsextremist Stephan B. in Halle an der Saale schwer bewaffnet in eine Synagoge einzudringen. Nachdem er an der Tür scheiterte, tötete er zwei Menschen und verletzte bei seiner Flucht zwei weitere. Seit Juli dieses Jahres steht Stephan B. vor Gericht.

Wäre der Täter mit seinem Attentat nicht gescheitert: Es wäre einer der schwersten antisemitischen Anschläge der deutschen Nachkriegsgeschichte geworden.

 

Damit hat der immer noch vorhandene Antisemitismus in Deutschland sein hässliches und mörderisches Gesicht gezeigt. Was wohl kaum jemand für möglich gehalten hatte, ist mitten in der Bundesrepublik Deutschland in Halle geschehen. Ein Mann hat am jüdischen Versöhnungstag Jom Kippur mit Waffengewalt versucht, Zutritt zur Synagoge zu bekommen, um eine dort versammelte Gemeinde auszulöschen.

 

Am 20. Mai 2020 wurde in München ein Jugendtrainer des jüdischen Sportvereins TSV Maccabi München beim Spaziergang im Englischen Garten von einem Radfahrer massiv antisemitisch mit den Worten „Ihr jüdischen Schweine seid schuld! Ihr Juden habt das mit dem Corona gemacht!“ beleidigt.

An den Vorsitzenden des Verbands jüdischer Studenten in Bayern Michael Movchin wurde am 01. Juni eine antisemitische Hassnachricht verschickt und diesem dabei der Tod gewünscht.

Beim vierten Anschlag innerhalb weniger Jahre auf die Kiezkneipe eines jüdischen Besitzers brannte das Lokal am 14. August 2020 in Berlin völlig aus. Die Gaststätte befand sich im Erdgeschoss eines Wohnhauses. Vorausgegangen waren jahrelang antisemitische Drohungen, Provokationen und Schmierereien.

Kurz vor dem Jahrestag des Anschlags von Halle griff ein Mann in militärischer Kleidung mit einem Klappspaten am 04. Oktober einen Studenten an, der durch eine Kippa als jüdisch zu erkennen war und aus der Synagoge Hohe Weide in Hamburg herauskam. Das Opfer wurde mit erheblichen Kopfverletzungen ins Krankenhaus gebracht.

Wer heute der Opfer des Nazi-Terrors gedenkt, sollte sich auch dem aktuellen Antisemitismus entgegenstellen, der sich zunehmend offen und in schamloser Weise zeigt. Es darf nicht sein, dass Juden wieder auf Straßen und Plätzen beleidigt und belästigt werden. Es ist unerträglich, dass heutzutage wieder Jüdinnen und Juden in Angst vor Terror um ihr Leben fürchten.

 

Die Täter sind nicht verwirrte und verirrte Einzeltäter, sie führen aus, was ihnen durch menschenverachtende Propaganda und Hetze eingepflanzt wurde, sie sind aber dennoch immer für ihr Handeln selbst verantwortlich.

 

Am 09. und 10. November 1938 handelten die Schlägerbanden, die ihre gewalttätige Spur in Städten und Gemeinden hinterließen, im Dienst eines menschenverachtenden Systems und seiner Propaganda. Menschen wurden in dessen Auftrag grausam misshandelt, ihre Wohnungen und Geschäfte zertrümmert und Synagogen in Brand gesetzt. Auch in Demmin wurde der jüdische Friedhof geschändet und jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger in Sammeltransporten verschleppt.

Heute leben wir in einem demokratisch verfassten Staat, aber die Demokratie wird überall dort angegriffen, wo gesellschaftliche Ausgrenzung, Rassismus und Antisemitismus stattfinden und beispielsweise im Internet oder an Stammtischen salonfähig gemacht werden.

 

Der Kampf gegen Antisemitismus und Rassismus muss in erster Linie von der Zivilgesellschaft geführt werden – Parteien und Gewerkschaften, Schulen und Ausbildungsstätten, Kirchen sowie Sport- und Kulturvereine – jede Einzelne und jeder Einzelne von uns sind gefordert, laut und vernehmlich NEIN zu sagen, wenn rassistische Bemerkungen fallen, antisemitische Witze und Redewendungen die Runde machen.

 

Wenn wir der Opfer der Pogrome von 1938 gedenken, dann erinnern wir uns an Bürgerinnen und Bürger aus der Mitte unserer Stadtgesellschaft – von Beruf waren sie Buchhalter, Metzger, Kaufmann, Geschäftsinhaberin und Verkäuferin. Durch die Nazi-Gesetzgebung wurden Jüdinnen und Juden aus der Mitte der Gesellschaft ausgegrenzt und durch eine ideologisch-braune Rassentheorie als „anders“ definiert. Bürgerinnen und Bürger wurden von den Nazis zu „Fremden“ gemacht – zuerst ausgegrenzt, dann ausgemerzt.

 

Im Nazi-Deutschland wurden durch Propaganda und Hetze, durch Verordnungen und Gesetze Juden, Sinti und Roma als „unwert“ eingestuft und durften in der sogenannten „gesunden Volksgemeinschaft“ keinen Platz mehr haben. Sie wurden als Schmarotzer und Volksfeinde abgestempelt – gefördert durch eine abstruse, in ihrer Wirkung erschreckende Rassenideologie.

Umso wichtiger ist es, dass unser Land – nunmehr nach der Wiedervereinigung seit 30 Jahren – gemeinsam in ganz Deutschland, sowohl Ost  als auch West, die Erinnerung an das Geschehene als Aufgabe für die Zukunft angenommen hat.

 

Das Recht auf Freiheit und Würde eines jeden Menschen ist unteilbar.

 

Ich bin dankbar für alle in unserer Hansestadt, die sich dem Antisemitismus und Rassismus entgegenstellen.

 

Weitere Informationen

Fotoserien

Reichspogromnacht (MO, 09. November 2020)